ADHS-Steuer/AH-deh-hah-es SHTOI-er/
Die Zusatzkosten an Geld, Zeit und Energie, die Menschen mit ADHS durch exekutive Funktionsstörungen in einer auf neurotypische Gehirne ausgerichteten Welt zahlen müssen.

Andy sagt:
Stell dir vor: Alle anderen machen ihre Steuererklärung mit ELSTER, aber dein Gehirn besteht darauf, dass du erst mal alle Belege nach Farbe sortierst, dann vergisst du das Passwort, findest es wieder, aber jetzt ist die Frist abgelaufen. 500 Euro Verspätungszuschlag. Das ist ADHS-Steuer. Nicht weil du dumm oder faul bist - dein Gehirn hat einfach seine eigene Verwaltungslogik, und die kostet extra im deutschen Bürokratiesystem. Manchmal sind es die 60 Euro beim Schlüsseldienst, manchmal der Studienplatz, der weg ist, weil die Bewerbungsfrist "plötzlich" da war.
Detaillierte Erklärung
Die ADHS-Steuer ist messbar und real. Sie zeigt sich im Säumniszuschlag der Krankenkasse (obwohl das Geld da war), in der dritten Monatskarte dieses Jahr (weil die anderen irgendwo liegen), im gekündigten Fitnessstudio-Vertrag, der trotzdem weiterläuft, weil die Kündigungsfrist um einen Tag verpasst wurde.
In Deutschland kommt zur universellen ADHS-Steuer noch die Bürokratie-Steuer dazu. Formulare, Fristen, Ämtergänge - alles Exekutivfunktions-Marathons. Die sechsmonatige Wartezeit auf einen Diagnostiktermin? Steuer. Die Kämpfe mit der Krankenkasse um Therapie? Steuer. Der Nachteilsausgleich, den man theoretisch bekommen könnte, aber die Antragstellung ist zu kompliziert? Auch Steuer.
Studien deuten darauf hin, dass Menschen mit ADHS häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind und im Durchschnitt weniger verdienen. Aber diese Zahlen erzählen nicht von den nächtlichen Panikattacken vor der Steuererklärung oder dem Gefühl, bei jeder Behörde als "schwieriger Fall" zu gelten.
Der Begriff etablierte sich ab 2015 in deutschen ADHS-Foren und wandelte Scham in Systemkritik: Statt "Ich kriege mein Leben nicht auf die Reihe" heißt es jetzt "Die ADHS-Steuer war diesen Monat wieder hoch."
Beispiele aus dem Alltag
Lenas Schulmorgen (10 Jahre): Der Sportbeutel steht fertig gepackt im Flur. Lena sieht ihn, will ihn mitnehmen. Aber dann fällt ihr ein, dass sie noch ihr Pausenbrot braucht. In der Küche entdeckt sie ihre Sammlung bunter Stifte. Der Sportbeutel? Unsichtbar geworden. Jetzt steht sie ohne Sportsachen da, die Lehrerin seufzt, die Mitschüler lachen. Die Steuer: Scham, eine Vier in Sport, und Mama kauft den dritten Sportbeutel dieses Schuljahr.
Tims WG-Casting (21 Jahre): Tim hat sich vorbereitet, weiß genau was er sagen will. Aber im Gespräch springt sein Gehirn von Thema zu Thema. Er erzählt begeistert von seinen sieben Hobbys, vergisst aber zu erwähnen, dass er einen Job hat. Die WG denkt, er wäre unzuverlässig. Die Steuer: Weiter bei Mama wohnen, verpasste Selbstständigkeit, Selbstzweifel.
Maritas Elternabend (42 Jahre): Sie wollte diesmal wirklich pünktlich sein. Hat sich drei Wecker gestellt. Aber dann musste noch schnell die Spülmaschine ausgeräumt werden, und plötzlich sortiert sie das komplette Gewürzregal. Als sie losfährt, ist der Elternabend halb vorbei. Die Steuer: Der Ruf als "chaotische Mutter", verpasste Infos über die Klassenfahrt, die mitleidigen Blicke anderer Eltern.
Praktische Strategien
Sofort-Hilfe (Wenn die Steuer gerade zuschlägt)
- Kleiner Puffer: Wenn möglich, auch nur 5-10 Euro für Notfälle zurücklegen.
- Die Backup-Strategie: Zweitschlüssel beim Nachbarn, Ersatz-Ladekabel vom Discounter.
- Foto-Gedächtnis: Fotografiere wo du parkst, was du dabei hast, wie Dinge aussehen sollen.
- Der Körperdoppel: Telefonat oder Videoanruf während nerviger Aufgaben. Jemand da zu haben hilft.
Tägliche Systeme (Steuer-resistente Strukturen)
- Alles automatisieren: Miete, Versicherungen, Abos - was automatisch geht, soll automatisch gehen.
- Die Abschussbasis: Ein Platz an der Tür wo ALLES für morgen liegt. Schlüssel, Geldbeutel, Fahrkarte, Schulranzen.
- Realitäts-Checks: Zufällige Handywecker mit der Frage "Was wolltest du gerade tun?"
- Die Erfolgs-Liste: Schreib auf was du geschafft hast, nicht was du schaffen musst. Bekämpft Scham.
Langzeit-Anpassungen (Steuersatz senken)
- Berufswahl überdenken: Jobs die ADHS-Stärken nutzen (Notfallmedizin, Kreativbranche, Handwerk).
- Beziehungs-Transparenz: "Ich unterbreche aus Begeisterung, nicht aus Unhöflichkeit."
- Umgebung gestalten: Sichtbare Aufbewahrung, Timer in jedem Zimmer, Fidget-Toys überall.
- Medizinische Unterstützung: Medikamente können die Steuer um 30-50% senken, lösen aber nicht alles.
Community-Kontext
Die ADHS-Community hat diesen Begriff entwickelt, um gemeinsame Erfahrungen zu benennen und Scham zu reduzieren. Statt "Ich bin unfähig" können wir sagen "Ich zahle ADHS-Steuer."
Wichtige Erkenntnisse aus der Community:
- Die Steuer summiert sich über Zeit - kleine Kosten werden zu großen Problemen
- Scham macht die Steuer höher, weil sie uns davon abhält, Hilfe zu suchen
- Strategien teilen reduziert die Belastung für alle
- Die Steuer existiert unabhängig von einer Diagnose
Die Community betont: Die Steuer ist nicht deine Schuld, aber es lohnt sich, Wege zu finden, sie zu reduzieren.
Für Familie und Betreuer
Was ihr verstehen müsst: Die Steuer ist neurologisch, nicht moralisch. Euer ADHS-Mensch wählt nicht, vergesslich oder unpünktlich zu sein.
Wie ihr helfen könnt:
- Externes Gedächtnis sein: "Hast du deine Fahrkarte?" ist keine Bevormundung, sondern Unterstützung
- Gemeinsam Systeme bauen: Listen machen, Erinnerungen teilen, feste Plätze bestimmen
- Erfolge feiern: Bemerken wenn sie pünktlich sind, etwas nicht vergessen
- Steuer einplanen: Im Familienbudget berücksichtigen, ohne Vorwürfe
Was ihr lassen solltet: Nicht sagen "streng dich halt mehr an" oder "das passiert jedem mal". Konsequenzen nicht komplett wegnehmen, aber auch keine Scham drauflegen.
Für Schule und Arbeitsplatz
Für Lehrkräfte: Schul-ADHS-Steuer umfasst vergessene Hausaufgaben (auch wenn gemacht), verlorene Bücher, soziale Strafen fürs Reinreden. Unterstützung: E-Mail-Erinnerungen, doppelte Bücher, Bewegungspausen.
Für Therapeuten: Sowohl praktische Strategien als auch internalisierte Scham angehen. Viele haben jahrelange "Steuer-Quittungen" die zu Grundüberzeugungen von Unzulänglichkeit wurden.
Für Arbeitgeber: Arbeitsplatz-Steuer includes verpasste Deadlines trotz Fähigkeit. Hilfe: Schriftliche Anweisungen, flexible Arbeitszeiten, stärkenbasierte Aufgabenverteilung.
Hinweis für Fachkräfte: Berücksichtigen Sie die kumulativen finanziellen und emotionalen Auswirkungen von ADHS bei Behandlungsplänen und Arbeitsplatzanpassungen.
Intersektionalität & Variation
Geschlechterunterschiede: Frauen werden oft erst mit 30+ diagnostiziert, haben jahrzehntelang Steuer als "Überforderung" gezahlt.
Migrationshintergrund: Doppelte Steuer durch Sprachbarrieren bei Behörden und kulturelle Erwartungen an Disziplin.
Ost-West: In neuen Bundesländern weniger Spezialisten, längere Wartezeiten, höhere Fahrtkosten zur Behandlung.
Altersaspekte: Steuer wandelt sich. Kinder: Schul- und Sozialsteuer. Erwachsene: Finanz- und Beziehungssteuer. Senioren: Medikamenten- und Terminsteuer.
Verwandte Begriffe
- Exekutive Dysfunktion - Die Kernherausforderung hinter der meisten ADHS-Steuer
- Zeitblindheit - Warum Fristen überraschen und Zeitschätzungen scheitern
- Rejection Sensitive Dysphoria - Die emotionale Steuer zusätzlich zu praktischen Kosten
- Nachteilsausgleich - Systemische Änderungen die Steuer reduzieren können
- Löffeltheorie - Eine andere Metapher für begrenzte Ressourcen
Verwandte Begriffe
Exekutive Dysfunktion
Schwierigkeiten mit dem Managementsystem des Gehirns für Planung, Organisation, Initiierung und Fertigstellung von Aufgaben. Als hätte man alle Teile, kämpft aber damit, sie zur richtigen Zeit in der richtigen Reihenfolge zusammenzusetzen.
Zeitblindheit
Die Schwierigkeit zu spüren, wie viel Zeit vergangen ist oder genau einzuschätzen, wie lange Aufgaben dauern. Leben in einem ewigen „Jetzt", wo Zeit unvorhersehbar fließt.
Nachteilsausgleich
Veränderungen von Umgebung, Werkzeugen, Zeit oder Erwartungen, die Barrieren entfernen, damit Menschen gleichberechtigt teilnehmen können. Keine Sonderbehandlung oder niedrigere Standards—nur verschiedene Wege zum gleichen Ziel.
Löffeltheorie
Eine Metapher, wo tägliche Energie als begrenzte Anzahl Löffel dargestellt wird. Jede Aktivität kostet Löffel, und wenn sie weg sind, geht nichts mehr—keine Willenskraft erschafft mehr. Von Christine Miserandino kreiert um Leben mit Lupus zu erklären, jetzt universelle Behinderungssprache.
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