Exekutive Dysfunktion/ek-se-ku-TI-we düs-funk-TSION/
Schwierigkeiten mit dem Managementsystem des Gehirns für Planung, Organisation, Initiierung und Fertigstellung von Aufgaben. Als hätte man alle Teile, kämpft aber damit, sie zur richtigen Zeit in der richtigen Reihenfolge zusammenzusetzen.

Andy sagt:
Stell dir vor, der Projektmanager deines Gehirns hat sich dauerhaft krankgemeldet. Du weißt was zu tun ist, willst es tun, aber der Teil der Aufgaben in Schritte zerlegt, entscheidet was zuerst kommt und tatsächlich anfängt? Der ist offline. Du starrst auf eine simple Aufgabe wie „Zimmer aufräumen" und dein Gehirn sieht einen unmöglichen Berg ohne klaren Weg nach oben. Gleichzeitig kannst du vier Stunden mittelalterliche Schmiedetechniken recherchieren, die du nie brauchen wirst. Das ist nicht Faulheit—deine Exekutivfunktion hat andere Prioritäten als die Gesellschaft erwartet.
Detaillierte Erklärung
Exekutive Dysfunktion betrifft die CEO-Funktionen des Gehirns—mentale Prozesse für Planung, Fokus, Instruktionen merken und Multiple Tasks managen.
Betroffene Exekutivfunktionen:
- Aufgabeninitiierung: Anfangen trotz Motivation
- Planung/Priorisierung: Aufgaben nach Wichtigkeit ordnen
- Organisation: Material, Zeit, Information managen
- Arbeitsgedächtnis: Information halten während der Nutzung
- Kognitive Flexibilität: Zwischen Aufgaben wechseln
- Emotionsregulation: Gefühle managen für Aufgabenfokus
- Selbstüberwachung: Fortschritt tracken und anpassen
Das hat nichts mit Intelligenz zu tun—brillante Menschen mit exekutiver Dysfunktion wissen genau was zu tun ist, können aber den „Start"-Knopf nicht erreichen.
Beispiele aus dem Alltag
Morgenroutine: Jan stellt 15 Wecker. Nicht zum Aufwachen—er ist nach dem ersten wach. Jeder Wecker erinnert an den nächsten Schritt: aufstehen, duschen, essen, Zähne putzen, Tasche packen. Ohne sie merkt er mittags, dass er das Frühstück vergessen hat, während er Vogelzugrouten recherchiert.
Arbeitsprojekt: Marie starrt drei Stunden auf das leere Dokument, paralysiert. Sie kennt den Inhalt, hat die Recherche, kann aber nicht anfangen. Dann plötzlich um 2 Uhr nachts schreibt sie den ganzen Bericht in 90 Minuten. Ihr Gehirn gab endlich Zugriff.
Haushalt: Sams Wohnung hat „Doom Piles"—Orte wo Objekte sich ansammeln, weil die Entscheidung wo jedes Teil hingehört 47 Mikro-Entscheidungen erfordert, die das Gehirn gerade nicht treffen kann.
Praktische Strategien
Aufgaben startbar machen:
- Kleinsten ersten Schritt definieren (nicht „Zimmer aufräumen" sondern „eine Socke aufheben")
- „Schwung-Aufgaben"—leichte Siege um das Gehirn zu aktivieren
- Body Doubling—gemeinsam arbeiten (persönlich oder virtuell)
- Gamifizieren mit willkürlichen Regeln
Externe Gehirn-Systeme:
- Sichtbare Zeitpläne und Timer
- Ein-Griff-Systeme (alles hat EINEN Platz)
- Automatisierte Erinnerungen mit spezifischen Aktionen
- „Startrampen" bei Türen mit allem Nötigen
Community-Kontext
Die neurodivergente Community in Deutschland hat das Verständnis revolutioniert:
- Trennung von Unfähigkeit und Unwillen
- Entwicklung einer „Hack"-Kultur für Alltagsaufgaben
- Normalisierung unkonventioneller Lösungen
- Fokus auf Energiemanagement statt Zeitmanagement
Für Familie und Betreuer
Euer Familienmitglied ist nicht faul oder trotzig. Das Gehirn kann die „Mach-die-Sache"-Funktion nicht zuverlässig abrufen.
Unterstützung bei exekutiver Dysfunktion:
- Struktur ohne Verurteilung bieten
- Beim Aufgaben-Aufteilen helfen
- Das externe Erinnerungssystem sein
- Versuche feiern, nicht nur Erfolge
Für Schule und Arbeitsplatz
Lehrkräfte: Schüler*innen mit exekutiver Dysfunktion vergessen Hausaufgaben nicht absichtlich. Sie brauchen:
- Schriftliche Anweisungen
- Aufgaben in Häppchen mit Check-ins
- Visuelle Zeitpläne und konsistente Routinen
Arbeitgeber: Exekutive Dysfunktion bedeutet nicht weniger fähig. Unterstützung durch:
- Klare, schriftliche Projekt-Scopes
- Regelmäßige Check-ins ohne Mikromanagement
- Flexibilität im Wie (nicht Ob) der Arbeit
Intersektionalität & Variation
- ADHS vs Autismus: ADHS kämpft oft mit Starten; Autismus mit Wechseln
- Alter: Anforderungen steigen mit dem Alter während Unterstützung abnimmt
- Geschlecht: Weiblich sozialisierte maskieren oft unter enormen Kosten
- Kultur: Kulturen mit Fokus auf Pünktlichkeit sind besonders herausfordernd
Verwandte Begriffe
- Zeitblindheit - Schwierigkeit, Zeitverlauf wahrzunehmen
- Arbeitsgedächtnis - Information halten während der Nutzung
- Aufgabeninitiierung - Die spezifische Herausforderung des Anfangens
- Kognitive Flexibilität - Fähigkeit zwischen Aufgaben zu wechseln
Verwandte Begriffe
Arbeitsgedächtnis
Mentale „Werkbank“, auf der Informationen kurz gehalten und bearbeitet werden, um Handlungen zu steuern.
Zeitblindheit
Die Schwierigkeit zu spüren, wie viel Zeit vergangen ist oder genau einzuschätzen, wie lange Aufgaben dauern. Leben in einem ewigen „Jetzt", wo Zeit unvorhersehbar fließt.
Nachteilsausgleich
Veränderungen von Umgebung, Werkzeugen, Zeit oder Erwartungen, die Barrieren entfernen, damit Menschen gleichberechtigt teilnehmen können. Keine Sonderbehandlung oder niedrigere Standards—nur verschiedene Wege zum gleichen Ziel.
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