Hyposensibilität/HY-po-sen-si-bi-li-TÄT/

Verminderte Reaktionsfähigkeit auf sensorische Reize, wodurch intensivere oder längere Stimulation nötig ist, um Empfindungen wahrzunehmen, die andere leicht bemerken.

andy.alt

Andy sagt:

*Es ist, als wäre die Lautstärke bei einigen deiner Sinne heruntergedreht. Du bemerkst vielleicht Dinge nicht, die andere wahrnehmen, oder brauchst extra Intensität, um überhaupt etwas zu spüren. Nicht kaputt - nur anders kalibriert.*

Aktualisiert 2025-01-27
Quellen: Community Contributors
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Detaillierte Erklärung

Hyposensibilität (sensorische Unterreagibilität) tritt auf, wenn das Nervensystem intensivere sensorische Eingabe benötigt, um Wahrnehmungs- oder Reaktionsschwelle zu erreichen. Kann jedes sensorische System betreffen—Sehen, Hören, Tasten, Schmecken, Riechen, Vestibular (Gleichgewicht/Bewegung), Propriozeption (Körperwahrnehmung) und Interozeption (innere Körpersignale).

Menschen mit Hyposensibilität bemerken sensorische Informationen nicht, die anderen offensichtlich erscheinen, suchen intensive Erfahrungen, haben hohe Schmerztoleranz, brauchen lautere Geräusche zum Fokussieren, bevorzugen intensive Geschmäcker/Texturen, haben Schwierigkeiten Hunger/Durst/Toilettenbedürfnisse zu erkennen, bemerken Temperaturwechsel nicht.

Hyposensibilität kann selektiv sein—jemand könnte hyposensitiv für Geräusche aber hypersensitiv für Licht sein. Neurologischer Unterschied in Verarbeitung, keine Wahl. Viele entwickeln kompensatorische Strategien: intensive Eingabe durch Bewegung, Unruhe, laute Musik, würzige Speisen—adaptive Reaktionen auf sensorische Bedürfnisse.

Community-Kontext

Neurodivergente Communities verstehen Hyposensibilität als gültige Art, sensorische Welt zu erleben. Viele autistische und ADHS-Leute erleben sie neben oder statt Hypersensibilität. Häufige Erfahrungen: "Gesagt bekommen ich 'passe nicht auf' wenn ich Information einfach nicht registriert habe," "Intensive sensorische Eingabe hilft mir fokussieren und regulieren—keine Ablenkung, Notwendigkeit," "Leute denken ich ignoriere sie—mein Gehirn hat es buchstäblich nicht bemerkt," "Endlich verstehen warum ich Musik laut mache, Bewegung suche, scharfes Essen brauche—es ist sensorische Regulation, nicht Vorliebe."

Community betont: sensorisch-suchende Verhaltensweisen sind nicht aufmerksamkeitssuchend, sondern notwendig für Regulation und Funktionsfähigkeit. Forschung zeigt Hyposensibilität häufig bei Autismus und ADHS, kann mit Hypersensibilität in verschiedenen Sinnen zusammen auftreten, sensorisches Suchen hilft Selbstregulation und Aufmerksamkeit. Gehirn-Bildgebung deutet auf Unterschiede in sensorischer Verarbeitungs-Konnektivität.

Alltags-Beispiele

Der unsichtbare Schmerz: Marcus verbrennt Hand am Herd. Reagiert nicht. Schwester schreit "Das ist heiß!" Er schaut runter—Verbrennung zweiten Grades bildet sich. Gehirn registrierte Schmerzsignal nicht schnell genug. Geht mehrfach in Notaufnahme für Verletzungen die er nicht bemerkt hat. Ärzt*innen dozieren über "vorsichtig sein." Er IST vorsichtig—sein Nervensystem sendet nur nicht die Alarmglocken die andere bekommen. Nicht Nachlässigkeit, Hyposensibilität. Muss visuell nach Verletzungen checken da Schmerz ihn nicht warnt.

Die Lautstärke-Sucherin: Mitbewohner*innen beschweren sich Sarahs Musik ist zu laut. Für sie ist es kaum merkbarer Hintergrund. Sie braucht Lautstärke aufgedreht um Klang zu registrieren und zu fokussieren. Mit Earbuds kann sie endlich Musik klar hören ohne andere zu stören. Aber in geteilten Räumen, ständige Spannung: was "zu laut" für andere ist, ist "gerade richtig" für ihr Gehirn. Ihre auditive Schwelle ist wirklich anders—nicht Unhöflichkeit, Neurologie.

Die verpassten Signale: Jordan verpasst häufig Toilette, landet in schmerzhaften Situationen. Realisiert nicht dass sie hungrig sind bis zittern, benommen. Vergisst Wasser für Stunden, landet mit Kopfschmerzen. Interozeption (innere Körpersignale) funktioniert nicht wie bei anderen. Ihr Gehirn sendet "hey, Toilette bald" oder "werde hungrig"-Nachrichten nicht klar. Setzt stündliche Erinnerungen für Wasser, Toilette, Snacks. Sieht exzessiv aus für andere—für Jordan ist es Überlebensstrategie für hyposensitive Interozeption.

Praktische Strategien

Gratis/Günstig:

  • Handy-Alarme/Erinnerungen für Grundbedürfnisse (Wasser, Essen, Toilette) alle 1-2 Stunden setzen (gratis)
  • Fidget-Tools nutzen (billige Federn, Gummibänder, DIY-Sensorik-Items) für taktile Eingabe (sehr günstig)
  • Bewegungs-Routine erstellen: Jumping Jacks, Wand-Drücken, Stretches zwischen Aufgaben (gratis)
  • Musik/Podcasts in benötigter Lautstärke mit Earbuds hören (respektiert andere) (gratis Earbuds verfügbar)
  • Intensive Geschmäcker suchen: scharfe Soße, saure Bonbons, starke Minze für sensorische Eingabe (günstig)
  • Visuelle Checklisten für Aufgaben die du vergessen könntest (gratis)
  • Treppen statt Aufzug nehmen, weiter weg parken für extra Bewegung (gratis)

Falls Möglich:

  • Qualitäts-Noise-Canceling-Kopfhörer für Klang-Input-Kontrolle
  • Stehpult oder Pult-Konverter für Bewegung beim Arbeiten
  • Gewichtsdecke oder Kompressions-Kleidung für propriozeptive Eingabe
  • Ergotherapie für personalisierte sensorische Strategien

Warum das funktioniert: Hyposensibilität bedeutet deine sensorische Schwelle ist höher—du brauchst mehr Input um Empfindungen zu registrieren. Intensive sensorische Erfahrungen suchen (Bewegung, Klang, Geschmack, Druck) bringt dein Nervensystem zu optimaler Wachheit und Regulation. Alarme/visuelle Hinweise kompensieren schwache innere Signale. Das ist nicht "Bewältigung"—es ist MIT deiner Neurologie arbeiten.

Kurz-Tipps

  • Heute: 3 stündliche Erinnerungen für Grundbedürfnisse setzen (Wasser, Stretchen, Temperatur checken)
  • Diese Woche: Billiges Fidget-Item besorgen und bemerken wann du natürlich nach sensorischer Eingabe greifst
  • Diesen Monat: Tracken welche sensorisch-suchenden Verhaltensweisen dir am meisten beim Fokussieren/Regulieren helfen

Do / Don't

Do's

  • Sensorische Eingabe bereitstellen wenn jemand sie sucht
  • Sensorisches Suchen als notwendige Selbstregulation anerkennen
  • Fidget-Tools, Bewegungspausen, intensive Erfahrungen anbieten
  • Mehrere Modalitäten nutzen (visuell + verbal + taktil) für wichtige Informationen
  • Verstehen dass hohe Schmerztoleranz nicht keine Schmerzen/keine Pflege nötig bedeutet

Don'ts

  • Annehmen jemand ignoriert dich wenn sie nicht auf sensorische Eingabe reagieren
  • Notwendige sensorisch-suchende Verhaltensweisen einschränken
  • "Nicht-Bemerken" als Trotz oder Unhöflichkeit interpretieren
  • Jemanden zwingen sensorische Eingabe zu bemerken die sie wirklich nicht registrieren können
  • Interozeption-Schwierigkeiten als "nur vergessen" abtun

Für Familien, Schulen und Arbeitsplätze

Für Familien:

  • Verstehen dass sensorisches Suchen (laute Musik, Springen, intensive Speisen) Regulations-Zweck dient
  • Mehrere Modalitäten nutzen: Schulter antippen + verbal + visueller Hinweis für wichtige Info
  • "Nicht-Bemerken" nicht bestrafen—Gehirn hat es wirklich nicht registriert
  • Bewegungsbedürfnisse unterstützen statt Stillsitzen zu verlangen
  • Beim Einrichten von Erinnerungs-Systemen für Grundbedürfnisse helfen

Für Schulen:

  • Fidget-Tools, Bewegungspausen, Steh-/Wackel-Sitze erlauben
  • Texturierte Materialien, abwechslungsreiche sensorische Eingabe bereitstellen
  • Hyposensibilität nicht als Unaufmerksamkeit oder Trotz interpretieren
  • Multi-sensorisches Unterrichten nutzen (visuell, auditiv, taktil)
  • Verstehen dass Schüler*in Glocke, verbale Anweisungen nicht bemerken könnte

Für Arbeitsplätze:

  • Stehpulte, Bewegungspausen, Hintergrundmusik mit Kopfhörern erlauben
  • Klare visuelle/taktile Hinweise für wichtige Deadlines bereitstellen
  • Verstehen dass sensorisch-suchende Verhaltensweisen (Zappeln, Musik, Bewegung) Fokus ermöglichen
  • Bewegung oder Sensorik-Tools nicht einschränken
  • Erkennen dass Mitarbeiter*in mehrere Prompts brauchen könnte (nicht ignorieren, nicht bemerken)

Intersektionalität

Hyposensibilität kreuzt sich mit Autismus, ADHS, sensorischen Verarbeitungsunterschieden. Kulturelle Erwartungen über "angemessenes" Verhalten kollidieren mit sensorisch-suchenden Bedürfnissen—manche Kulturen schätzen Stille, Ruhe, Zurückhaltung mehr als andere. Finanzielle Barrieren limitieren Zugang zu hilfreichen Tools (Qualitäts-Kopfhörer, Stehpulte, Ergotherapie). Hohe Schmerztoleranz kann ernste Verletzungen maskieren, führt zu verzögerter medizinischer Versorgung—besonders gefährlich für marginalisierte Gruppen die medizinische Abweisung erfahren. Interozeption-Schwierigkeiten beeinflussen Essstörungen, Körperbild, Geschlechtsdysphorie-Erkennung. Sensorisch-suchende Verhaltensweisen können als Hyperaktivität fehlinterpretiert werden, führt zu Über-Diagnose in manchen Gruppen, Unter-Diagnose in anderen (besonders Mädchen/Frauen).

Sprachliche Hinweise

Hyposensibilität ist der klinische Begriff, während "sensorisches Suchen" oft die Verhaltensreaktionen auf Hyposensibilität beschreibt. Manche bevorzugen "sensorische Unterschiede" oder "alternative sensorische Verarbeitung" zur Vermeidung defizitbasierter Sprache. Der Begriff "sensorische Diät" wird häufig für geplante sensorische Eingabe-Aktivitäten verwendet.

Verwandte Begriffe

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