Sensorische Verarbeitungsstörung/sen-SO-ri-sche fer-AR-bei-tungs-shtö-rung/
Ein Zustand, bei dem das Nervensystem Schwierigkeiten hat, sensorische Informationen zu empfangen und zu verarbeiten. Menschen können überempfindlich, unterempfindlich oder beides sein.

Andy sagt:
Stell dir vor, deine Sinne haben zufällige Lautstärkeregler, die jemand anders ständig verstellt. Ein Flüstern klingt wie Schreien, eine leichte Berührung fühlt sich wie Schmirgelpapier an, oder du merkst nicht, dass du frierst. Dein Nervensystem versucht die Welt zu verarbeiten, aber die Signale werden durcheinandergebracht, verstärkt oder gehen verloren. Es ist nicht wählerisch sein—dein Gehirn erlebt die Welt wirklich in anderen Intensitäten.
Detaillierte Erklärung
Die Sensorische Verarbeitungsstörung (SVS) beeinflusst, wie das Nervensystem sensorische Informationen empfängt und verarbeitet. Oft gemeinsam mit Autismus und ADHS, kann aber auch allein auftreten.
SVS zeigt sich in drei Hauptmustern:
- Hypersensitivität: Überreaktion auf sensorischen Input
- Hyposensitivität: Unterreaktion auf sensorischen Input
- Sensorisches Suchen: Verlangen nach intensiven sensorischen Erfahrungen
Betroffene Sinne:
- Klassische fünf (Sehen, Hören, Tasten, Schmecken, Riechen)
- Vestibulär (Gleichgewicht und Bewegung)
- Propriozeptiv (Körperposition im Raum)
- Interozeptiv (innere Körpersignale)
Beispiele aus dem Alltag
Schule: Maya hält sich die Ohren während der Versammlung zu—das Mikrofon-Feedback, das andere kaum bemerken, fühlt sich wie Messer in ihrem Gehirn an. Gleichzeitig merkt sie nicht, dass ihr Shirt verkehrt herum ist.
Arbeit: Tom braucht drinnen eine Sonnenbrille, weil Neonlicht Migräne verursacht, merkt aber nicht, wenn er stundenlang unbequem sitzt.
Zuhause: Sam kann nur bestimmte Baumwoll-Shirts tragen (alles andere fühlt sich wie Nadeln an), sucht aber extrem scharfes Essen, weil milde Aromen nicht ankommen.
Praktische Strategien
Bei Hypersensitivität:
- Noise-Cancelling-Kopfhörer oder Ohrstöpsel
- Sonnenbrille oder getönte Gläser drinnen
- Nahtlose Socken und etikettenfreie Kleidung
- Unparfümierte Produkte
Bei Hyposensitivität:
- Visuelle/akustische Alarme und Erinnerungen
- Geplante Körper-Checks (Hunger? Kalt? Toilette?)
- Kräftige Farben oder Aromen zur Wahrnehmungssteigerung
- Bewegungspausen zum "Aufwecken" des Systems
Bei sensorischem Suchen:
- Regelmäßige Bewegungsmöglichkeiten
- Fidgets und Kau-Schmuck
- Gewichtsdecken oder Kompressionskleidung
- Sichere Räume für intensiven sensorischen Input
Community-Kontext
Die neurodivergente Community in Deutschland betont:
- SVS ist eine echte neurologische Besonderheit, keine Marotte
- Bedürfnisse variieren täglich je nach Stress und Umgebung
- Braucht Anpassungen, keine "Konfrontationstherapie"
- Kann sowohl behindernd als auch bereichernd sein
Für Familie und Betreuer
Euer Familienmitglied ist nicht schwierig—das Nervensystem verarbeitet sensorische Reize anders.
Unterstützung bei SVS:
- Sensorisch-freundlichen Rückzugsort schaffen
- "Sensorische Erste-Hilfe" bereithalten
- Sensorische Muster und Warnzeichen lernen
- "Nein" zu sensorischen Erfahrungen respektieren
Für Schule und Arbeitsplatz
Lehrkräfte: Schüler*innen mit SVS brauchen Umgebungsanpassungen, keine Verhaltenskonsequenzen. Kopfhörer, alternative Sitzplätze, Bewegungspausen erlauben.
Arbeitgeber: SVS-Anpassungen verbessern Produktivität:
- Flexible Beleuchtungsoptionen
- Ruhige Arbeitsplätze oder Remote-Optionen
- Flexible Kleiderordnung
- Erlaubnis für sensorische Hilfsmittel
Intersektionalität & Variation
- Alter: Sensorische Bedürfnisse ändern sich über die Lebensspanne
- Kultur: Manche Kulturen akzeptieren sensorische Unterschiede besser
- Geschlecht: Mädchen/Frauen werden oft gedrängt, Unbehagen stillschweigend zu ertragen
- Umgebung: Stadt vs. Land präsentieren unterschiedliche sensorische Herausforderungen
- Begleiterscheinungen: Angst und Trauma können sensorische Probleme verstärken
Verwandte Begriffe
- Sensorische Überlastung - Wenn Input die Verarbeitungskapazität übersteigt
- Stimming - Selbstregulatorische sensorische Verhaltensweisen
- Hypersensitivität - Überempfindlichkeit auf sensorischen Input
- Hyposensitivität - Unterempfindlichkeit auf sensorischen Input
- Interozeption - Wahrnehmen innerer Körpersignale
Verwandte Begriffe
Reizüberflutung
Wenn dein Gehirn mehr sensorischen Input erhält als es verarbeiten kann—wie ein Computer mit zu vielen Programmen läuft bis er abstürzt. Lichter werden schmerzhaft, Geräusche durchbohren deinen Schädel, Texturen fühlen sich wie Sandpapier an, und dein Nervensystem schreit nach Flucht.
Stimming
Selbststimulierende Verhaltensweisen—wiederholte Bewegungen, Geräusche oder Aktivitäten zur Regulation des Nervensystems. Natürliche, notwendige und hilfreiche Handlungen für sensorische Verarbeitung, Emotionsregulation und Fokus.
Hypersensibilität
Erhöhte neurologische Reaktionsfähigkeit auf sensorische Eingaben, bei der Reize, die andere als tolerierbar oder nicht wahrnehmbar empfinden, überwältigend, schmerzhaft oder belastend sein können - ein fundamentaler sensorischer Verarbeitungsunterschied, der beeinflusst, wie neurodivergente Menschen die Welt erleben und navigieren.
Hyposensibilität
Verminderte Reaktionsfähigkeit auf sensorische Reize, wodurch intensivere oder längere Stimulation nötig ist, um Empfindungen wahrzunehmen, die andere leicht bemerken.
Interozeption
Dein innerer Körpersinn—die Fähigkeit, Hunger, Durst, Herzschlag, Temperatur, Schmerz und andere Signale aus dem Körperinneren zu spüren. Viele neurodivergente Menschen erleben diesen "achten Sinn" anders, was Grundbedürfnisse schwerer erkennbar macht.
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